Interview Pflegekinder

Der Alltag mit Pflegekinder

Liebe Christel, 

klasse, dass wir einen kleinen Einblick in das Leben einer Großfamilie mit Pflegekindern bekommen dürfen.

Dann wollen wir auch gleich mal loslegen 😉

1. Wie viele Kinder hast Du und wie alt sind sie?
Aus erster Ehe habe ich drei Kinder. Heute sind sie 53, 50 und 43 Jahre alt. Als die Jüngste 16 Jahre alt war, beschlossen wir ein Pflegekind zu uns zu holen. Der Junge war 2 Jahre alt. Dieser große Kerl ist jetzt 29 Jahre alt. Nach einiger Zeit kam dann Pflegekind Nummer zwei. Die junge Dame ist jetzt 25 Jahre alt.

2. Wie entstand bei Euch der Wunsch Pflegekinder in Eure Familie mit aufzunehmen?
Meine zweite Ehe ist kinderlos, meine Kleinste war sechs Jahre alt, als wir heirateten. Als sie 16 war, die beider älteren Kids waren schon ausgezogen, wurde mir, ehrlich gesagt, langweilig. Ich habe schon immer mit Kindern ein besonderes Verhältnis gehabt. Wir bewohnten ein Einfamilienhaus mit viel Platz, einen großen Garten und einigen leeren Zimmern.

3. Wie ist eigentlich der Ablauf, wenn man sich für ein Pflegekind entscheidet?
Damals war es so, dass wir uns beim zuständigen Jugendamt vorgestellt haben, eine Mitarbeiterin besuchte uns zu Hause und führte ein langes Gespräch mit uns.

Ich weiß, dass es heute nicht mehr so geht. Auch meine Tochter hat sich für ein Pflegekind beworben, sie musste an Seminaren teilnehmen und steht heute auf einer Warteliste, da sich durch Corona die Situation verändert hat. (Mehrarbeit)

4. Welche Herausforderungen musstet Ihr damals im Alltag stemmen in Bezug auf Vorgeschichte und familiäre Verhältnisse der Pflegekinder? Langzeitpflege oder Kurzzeitpflege?
Wir sind ohne Vorurteile gut mit den Eltern unseres Pflegesohnes ausgekommen. Sogar die Großeltern haben ihn regelmäßig bei uns besucht. Irgendwann ging dann ihre Ehe zu Bruch und sie ließen sich nicht mehr blicken. Zu den Großeltern haben wir heute noch Kontakt.

Bei unserer Pflegetochter war es nicht so einfach, sie war vier Jahre alt und wir haben sie aus einer anderen Pflegefamilie herausgeholt. Dort war sie seit ihrem zweiten Lebensjahr und hat wohl nichts gutes erlebt. Sie leidet heute unter Borderline und lässt sich behandeln. Ihre Mutter tauchte kurz auf, als sie 11 Jahre alt war, verschwand dann nach einigen Wochen wieder. Leider gab das Jugendamt ihr, trotz Warnungen, dass es dem Kind nicht guttat, die Erlaubnis, mit ihr etwas zu unternehmen. Mit ihr alleine hat sie dann gegen alle Auflagen verstoßen und die Kleine in einen Gewissenskonflikt gebracht.

Zeitpflegekinder hatten wir auch einige, beim Ersten musste die Mutter wegen einer Behinderung eine Kur machen, die zweite Maus kam öfter, sie war fünf, ihre Mutter alkoholabhängig und sie wurde uns gebracht, wenn Mama mal wieder aufgegriffen wurde. Dann gab es noch einen Jungen, der halt diesen Teddy mitbrachte, der mich zum Schreiben gebracht hat. Mit allen Eltern sind wir gut ausgekommen, war wahrscheinlich Glück.

5. Haben sich die Geschwister untereinander gut verstanden? Gab es Konflikte?
Unsere Pflegekinder nennen sich heute noch Schwester und Bruder, Konflikte gab es erst, als sie anfingen flügge zu werden und das Mädel sich falsche Freunde aussuchte.

6. Welche Hilfe konntet Ihr bzw. habt Ihr in Anspruch genommen?
Hilfe in dem Sinne bekamen wir nicht, es gab viermal im Jahr ein sogenanntes Hilfeplangespräch, darin wurde dokumentiert, welche Fortschritte die Kinder gemacht hatten, und was noch in Angriff genommen werden musste.

Da war z.B. die Sache mit dem Kindergarten: Wir bezahlten für den Jungen die Beiträge. Als das Mädchen in den Kindergarten kam, wurden wir darauf hingewiesen, dass das Jugendamt diese Beiträge übernimmt. Auf meinen Hinweis, dass wir das nicht wussten und nun schon zwei Jahre bezahlt hatten, bekamen wir nur die Antwort, selber Schuld - rückwirkend bezahlen wir nichts.

Auch sind wir zweimal im Jahr mit den Kindern in den Urlaub gefahren, irgendwann erzählte uns eine Mitarbeiterin, das wir auch dafür Unterstützung hätten beantragen können. Ich will damit sagen, Hilfe in dem Sinne kam keine. Mit dem Mädchen wollte ich, nachdem die Mutter verschwunden war, zum Psychologen. Auf meine Anfrage hin bekam ich eine Liste mit der Aufforderung mir einen auszusuchen.

7. Mit welchen Problemen hatten Eure Pflegekinder im Alltag zu kämpfen?
Ich glaube nicht, dass sie Probleme mit anderen Menschen hatten, weil sie Pflegekinder waren. Der Junge hatte so seine Probleme mit seiner Vergesslichkeit, wir nehmen an, dass der Alkoholkonsum seiner Mutter darauf Einfluss hatte.

8. Hat die Familie noch Kontakt zueinander? Wie können wir uns ein heutiges Treffen vorstellen? Was hat Corona mit Euch gemacht?
Ja, es besteht Kontakt mit allen Beteiligten. Meine Kinder sehen meine Pflegekinder, als ihre Geschwister an.

Der Junge hat noch engen Kontakt zu seinem Opa, die Oma ist vor kurzen gestorben und der Opa ist daher fast jeden Tag bei ihnen. Inzwischen ist er verheiratet und hat eine einjährige Tochter. Er geht seine leibliche Mutter besuchen, die in einem Pflegeheim lebt. Auch seine Großmutter mütterlicherseits hat noch Kontakt zu ihm und uns.

Das Mädel hat eine Tochter, ist jetzt wieder schwanger, erwartet Zwillinge. Sie kommt uns regelmäßig besuchen, pflegt aber zu ihrer Familie keine Verbindungen. Sie hatte kurzfristig Kontakt zu ihrer Mutter, diese hat sie böse ausgenutzt, auf ihren Namen Handyverträge gemacht und sie dann damit sitzen lassen.

Von Corona haben wir uns nicht beeinflussen lassen. Da meine Enkelkinder fast im gleichen Alter und die besten Freunde sind. Wenn heute alle zusammensitzen beginnen viele Gespräche mit: weißt du noch, es endet meistens mit dem Eingeständnis kleinerer Streiche und viel Gelächter.

9. Was kannst Du anderen Eltern mit auf dem Weg geben, wenn sie überlegen ein Pflegekind aufzunehmen?
Wenn die Einstellung stimmt, und man nicht davon ausgeht, dass es sich um einen Job handelt, kann ich nur sagen, dass es Freude macht. Man sollte möglichst unvoreingenommen an die Menschen herangehen, viele Eltern haben selber schlimmes erlebt und sind gar nicht in der Lage anders zu handeln. Aber, wie du siehst, es ist eine Lebensaufgabe, die nicht mit dem 18ten Lebensjahr aufhört.

Vielen lieben Dank für das tolle interview! Ich finde die Geschichte sehr bewegend. Geht es Euch auch so?

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