Die erste Zeit mit einem Frühchen

Die erste Zeit mit einem Frühchen

Liebe Leser,

heute möchte ich Euch einen kleinen (okay - der Artikel ist eindeutig etwas länger geworden, als ich vorgehabt hatte) Einblick geben, wie wir als Frühchen-Eltern die ersten Wochen nach der Geburt erlebt haben.

Die Vorgeschichte

2014 habe ich meinen Sohn durch eine Infektion und vorzeitige Wehen in der 23. SSW verloren. Und auch die nächste Schwangerschaft 2015 mit meiner Tochter gestaltete sich als sehr schwierig. Bereits ab der 23. SSW lag ich 2,5 Wochen im Krankenhaus, wurde auf Medikamente gegen vorzeitige Wehen eingestellt und habe mir die Gebärmutter zunähen lassen (Cerclage), um einer Gebärmutterhalsverkürzung entgegen zu wirken. Auch zu Hause musste ich viel liegen und durfte kaum die eigenen vier Wände verlassen, noch nicht mal das Sofa. Nach weiteren Krankenhausaufenthalten wurde in der 35. SSW festgestellt, dass meine Fruchtblase bereits Wasser verlor. Von der Geburt und von den darauffolgenden Wochen möchte ich gerne etwas erzählen. Vielleicht hilft es weiteren Frühchen Eltern, die mit ähnlichen Erlebnissen konfrontiert wurden.

Kleine Warnung vorab:

Ich erzähle von einigen Details der Geburt, aber auch von den Erlebnissen auf der Frühchenstation. Bitte überlegt euch genau, ob ihr in der Lage seid, diesen Artikel zu lesen. Gerade Tatsachenberichte stellen uns manchmal vor eine emotionale Herausforderung, so geht es mir zu mindestens.

Täglich grüßt das Krankenhaus

Ich lag wieder mal in einem 4-Bett-Zimmer im Krankenhaus. Die vorzeitigen Wehen waren in der 35. SSW schlimmer geworden und nun behielt man mich zur Beobachtung im Klinikum. Mein Gemüt war sehr melancholisch, denn die Ärzte haben durchblicken lassen, dass ich hier wahrscheinlich die nächsten 3 Wochen bleiben müsste. Sie wollten die Medikamente wieder erhöhen, um die vorzeitigen Wehen zu senken. Jeder Tag wäre ein Geschenk fürs Kind, so sagte man mir ständig.

Doch in dieser Umgebung kam ich alles andere als zur Ruhe. Bei einer Vollbelegung war im Zimmer immer was los, ob Tag oder Nacht. Ob Visite, Untersuchungen, Patientenwechsel oder einfach nur der Redebedarf mancher Schwangeren. Schlaf und Ruhe war wirklich ein Luxus. Zumal die wehenhemmenden Medikamente alle 4 Stunden eingenommen werden mussten. Und natürlich hatten wir Schwangeren im Zimmer nicht die gleiche Intervallzeit. So klingelte ständig der Wecker. Trotzdem begann ich mich langsam mit der Situation abzufinden, doch da bemerkte ich kurz nach 21 Uhr leichte Blutungen. Alarmiert rief ich die Schwestern, die mich zugleich dem Kreißsaal überstellten. Dort wurde ein Abstrich gemacht, ob ich bereits Fruchtwasser verlor. Dann hieß es erst mal warten.

Was passiert hier...

Im Rollstuhl sitzend befand ich mich auf dem Flur der Kreißsaal Station und beobachtete auf einmal, wie die Assistenzärztin mit dem Teststreifen Richtung Schwesternzimmern düste. Durch die Glasscheiben konnte ich sehen, wie sie mit ihren Kollegen diskutierte und dann plötzlich das Telefon zückte.

Meine Hände begannen zu schwitzen und ich rutschte unruhig auf dem Rollstuhl hin und her. Was hatte das zu bedeuten? Nach 10 Minuten kam die Ärztin endlich aus dem Schwesternzimmer und sprach mit mir. Sie würden die Cerclage nun öffnen und schauen, ob die Geburt beginnt. Anscheinend sei die Fruchtblase gerissen. Als ich entgegnete, dass mein Kind sich in der Beckenendlage befand und sich noch nicht gedreht hatte, ging die Assistenzärztin erst mal wieder weg, um mit der Oberärztin zu telefonieren. Weitere 10 Minuten verstrichen bis sie endlich wieder kam.

„Wir werden jetzt einen Kaiserschnitt machen. In einer halben Stunde geht es los.“

Die Geburt

WOW. Ich hatte kaum Zeit zum Nachdenken. Da kamen die Hebammen und Schwestern auch schon. Bereiteten mich für eine Spinalanästhesie vor.
Kennt ihr das Gefühl? Ihr wartet elend lange auf die Geburt und könnt es kaum erwarten, doch wenn der Zeitpunkt gekommen ist, dann habt ihr auf ein mal Panik? So ging es mir. Was würde mich erwarten? War ich bereit jetzt Mutter zu werden?

Kurz bevor ich in den OP-Saal geschoben wurde, kam mein Mann dazu. Ein Glück hatte er es noch rechtzeitig geschafft, nur wenige Minuten bevor es los ging.
Nach dem Einleiten der Spinalanästhesie kam ich in den OP-Kreißsaal  und vor meinem Gesicht wurde ein Tuch ausgebreitet. Die Arme und Hände wurden seitlich fixiert, aber wenigstens durfte mein Mann mir die Hand halten. Der Moment ist wirklich schwer zu beschreiben. Man ist aufgeregt, leichte Übelkeit gesellt sich dazu. Mein Mann sah auch schon mal besser aus. Ich muss aber dazu sagen, dass die Atmosphäre mit den Hebammen und Ärztinnen allerdings ganz toll war. Das half einem sehr, die Situation zu meistern.

Schließlich ging es los. Ich hörte ein „klatsch“ Geräusch, wie als würde ein Wasserballon platzen. Dann spürte ich auf ein Mal einen sehr starken Ruck in meinem ganzen Körper. Meine Luft wurde abgeschnürt und ich dachte, man zieht mir meine inneren Organe raus. Das ist nicht bei jedem Kaiserschnitt der Fall, meine Tochter lag nur sehr ungünstig, wohlgemerkt. Doch dann war der Ruck vorbei. Und plötzlich hörte ich das schönste Geräusch meines Lebens. Das Schreien meines eigenen Kindes.

Der erste Kontakt

Die erste Geburt meines Sohnes verlief still, weil er nicht die Kraft hatte zu weinen und kurze Zeit später verstarb. Das war für mich sehr traumatisch gewesen, um so glücklicher war ich, als unsere Tochter das ganze Zimmer zusammen schrie. Und wie. Die Tränen liefen mir die Wange herunter. Und dann kam ein weiterer Satz einer Schwester:
„Oh guck mal die vielen Haare.“ Man hörte ein Ah und Oh von den Ärztinnen und Schwestern. Nervös ruckelte ich an den Fixierungen. „Ich will auch mein Kind sehen.“ sagte ich innerlich. Es dauerte eine Weile, weil zunächst die Kinderärzte das Baby entgegen nahmen. Dann durfte ich meine kleine süße Tochter, die bereits in einer Decke eingemummt war, für 10 Sekunden anschauen, ihr ein Küsschen auf die Wange geben und dann wurde sie auf die Frühchenstation weggebracht. Mein Mann musste den OP wieder verlassen, damit ich zugenäht werden konnte.
Nebenbei telefonierte die eine Schwester mit dem Reinigungspersonal, um es zu delegieren, den OP Raum sauber zu machen, damit er für die nächste Patientin frei wird. Die Gedanken, die man dabei hatte sind wirklich schwer zu beschreiben. Man fühlte sich wie in einer anderen Welt.

Warten, warten, warten

Schließlich wurde ich noch zur Beobachtung in den Kreißsaal geschoben. Der Raum war so ruhig. Die Geburt war vorbei, aber ich war ohne Kind. Wieder ein mal. Ich wusste, sie war in guten Händen, aber über ihren Gesundheitszustand wusste ich nichts. Mein Mann blieb noch bei mir, auch er durfte erst kurz nach Mitternacht zur Frühchenstation in die benachbarte Klinik rüber. Erst in der Nacht und als ich bereits wieder in das 4-Bett-Zimmer geschoben wurde, bekam ich von meinem Mann eine SMS, dass es unserer Tochter gut ging. Und dann hieß es warten.

Ich war nun Mutter. Aber es fühlte sich überhaupt nicht so an. Wieder lag ich hier in einem Krankenzimmer ohne Kind. Und ich konnte noch nicht mal mit irgendjemandem reden, weil alle schliefen. Die Anästhesie ließ langsam nach und ich spürte nun langsam die Kaiserschnittnarbe. Das war grauenvoll. Sehnsüchtig wartete ich auf die Visite um 7 Uhr, die mir mitteilte, dass ich erst zu meinem Kind kann, wenn ich aufgestanden war und der Blasenkatheter entfernt wurde. Und dazu musste erst mal eine Schwester Zeit haben, was derzeit nicht der Fall war. Was? Weiter warten? Ich verstand die Welt nicht mehr.

Na endlich...

Um 9 Uhr kam mein Mann und endlich um kurz nach halb 10 Uhr half mir eine Schwester aufzustehen. Der Schmerz war schlimm, richtig schlimm, aber ich biss die Zähne zusammen, ging sogar unter die Dusche, um mir das Desinfektionszeug abzuwaschen. Ich wollte beweisen, dass ich fit genug war, um zu meiner Tochter zu können und endlich, nach fast 12 Stunden betrat ich die Frühchenstation, naja bzw. mein Mann fuhr mich im Rollstuhl hin.

Ihr müsst euch die Station wie folgt vorstellen. In der Mitte befindet sich ein gläserner Schwesternraum, der von einem ringförmigen Gang umrahmt wird. Von diesem gehen dann nach außen hin die Frühchenzimmer ab. Die Station ist ruhig, aber man hört das stete Piepen von Monitoren. Die Alarme und Geräusche haben mich noch lange in meinen Träumen verfolgt.

Die Zimmer der Babys haben eine bestimmte Reihenfolge. Links befinden sich die Intensivzimmer. Je stabiler die Kinder sind, desto weiter wandern sie im Uhrzeigersinn von einem Raum zum nächsten. Ist man auf der rechten Seite angekommen, so hat man gute Chancen bald entlassen zu werden.

So klein und zerbrechlich

Unsere Tochter lag im Akut-Intensiv-Zimmer, da sie gerade geboren war. Mein Mann schob mich hinein und die Eindrücke schienen mich zu erschlagen. Das Zimmer war ein dünner rechteckiger Schlauch, wo gerade mal 4 Inkubatoren (Brutkästen) Platz hatten plus die unzähligen Maschinen und Geräte an den Wänden. An erster Stelle lag ein Baby, dass gerade mal so groß wie eine Hand war. Ein dicker Beatmungsschlauch steckte in dem kleinen Wesen. Auch wenn die Betten abgedeckt waren, konnte man doch das ein oder andere Detail erkennen. Es war erschreckend. Das nächste Wärmebettchen gehörte unserer Tochter. Im Gegensatz zu den anderen kleinen Würmchen im Zimmer wirkte sie riesig mit ihren knapp 2480 Gramm und 47 cm. Und dennoch: der kleine Körper sah so zerbrechlich aus. Sie schlief ganz ruhig, aus ihrem Mund ragte eine Magensonde und an ihrer Nase war eine High-Flow-Brille befestigt - ein kleiner Sauerstoffschlauch. Atmen konnte unser Baby aber ein Glück selbstständig. Ich stand an dem Bettchen und wusste gar nicht, was ich da machen sollte. War das wirklich mein Kind? Man hatte zunächst überhaupt keine Bindung. Die ganze Situation war völlig surreal. Obwohl mein Mann und ich wussten, dass wir ein Frühchen bekommen würden, waren wir auf das ganze Ausmaß nicht vorbereitet gewesen.

Alles war das erste Mal

Die ersten Handgriffe, selbst mit Hilfe der Schwestern, waren so fremd und ungewohnt. Anstatt, dass ich meine Tochter stillte, musste ich sie zuerst über die Magensonde versorgen. Man bekam eine kleine Spritze, mit der die Muttermilch oder das Milchersatzprodukt aufgezogen wurde. Dann musste man Milliliter für Milliliter die Milch in den Schlauch geben. Mein Mann und ich starben tausend Tode am Anfang. War man zu schnell oder zu langsam? Saß der Schlauch richtig? Hat man ihn vorher gespült? Die Hormone in meinem Körper sorgten noch dafür, dass ich ruhiger war, als mein Mann. Bei ihm stand eigentlich nur dauerhaft die nackte Panik in den Augen.

Dazu kam noch, dass jede Schwester aus den unterschiedlichen Schichten ihre eigenen Tipps und Ideen hatte, wie man die Kleinen am besten versorgte. Dazu sagte mal die Nachtschwester zu uns; „Sehen Sie, wir sind da wie Großmütter, nur das Sie mit fast 6 dieser Sorte gleichzeitig konfrontiert werden. Jede hat ihre eigenen Pflegetipps und wird Ihnen das natürlich auch so mit auf dem Weg geben. Aber letztendlich müssen Sie ganz für sich alleine entscheiden, wie Sie Ihre Routine mit Ihrem Baby gestalten wollen.“

Als mein Mann eine Liste von Fragen stellte und hoffte auf alles einen vorgelegten Plan zu bekommen (zum Beispiel wie oft bade ich ein Baby, muss ich die festgelegten Zeiten des Krankenhauses beibehalten), bekam er dann als Antwort: „Ein Baby folgt keiner Anleitung. Sie müssen es fühlen, wann der richtige Zeitpunkt ist.“
Die Antwort brachte meinen Mann dann völlig aus dem Konzept.

Alles auf ein mal

Ich hingegen war noch mit meiner OP Narbe beschäftigt. Dann noch das 4-Bett-Zimmer im Krankenhaus. Der beschwerliche Weg von der Geburtsstation bis in die Kinderklinik (erst im Rollstuhl, dann mit „Rollator“ und schließlich ab dem dritten Tag mit langsam gequälten Schritten). Schlaf kannte man nicht, Ruhe kannte man nicht. Essen war ein Luxus. Schließlich ließ ich mich freiwillig am 3. Tage aus dem Krankenhaus entlassen, um wenigstens zu Hause etwas Normalität und Ruhe zu bekommen.

Doch der Zeitplan war eng. Ich musste alle drei Stunden meine Milch abpumpen, beschriften und zum Krankenhaus bringen. Unsere Tochter wurde alle 4 Stunden versorgt. Essen, wickeln und verarzten, falls nötig. Die Eltern trugen bei einer Tafel ein, welche Versorgungszeiten sie übernehmen würden. An den anderen Zeiten waren dann die Schwestern für die Babys zuständig. Das half wirklich, um mal zwischendurch Kraft zu tanken. Aber gleichzeitig hatte man ein schlechtes Gewissen sein Baby dort so alleine liegen zu lassen. Aber mein Mann und ich konnten uns auch abwechseln. Überhaupt traf man auf der Frühchenstation sehr viele Väter an. Einige Mütter waren noch von OPs oder Komplikationen so gezeichnet, dass sie erst Tage später ihre Kinder sahen und auch dann noch zu schwach waren, diese zu versorgen. Man erfuhr von vielen Schicksalen, die einem sehr ans Herz gingen.

Der Alltag auf der Station

Die Werte unserer Tochter waren stabil, allerdings hatte sie immer noch Schwierigkeiten Milch aus der Flasche zu trinken. Oft mussten wir noch die Magensonde benutzen. Stillen klappte am Anfang noch gar nicht, aber ich versuchte es immer wieder, um auch eine Bindung aufzubauen. Was in dieser klinischen Atmosphäre wirklich schwierig war. Aber man arrangierte sich nach ein paar Tagen damit. Man lernte die anderen Eltern kennen, tauschte sich aus und gab sich gegenseitig Kraft. Irgendwann landeten wir mit unserer Tochter dann auch auf der rechten Seite der Station, sie lag nur noch in einem normalen Bettchen und war endlich etwas munterer.

Aber das Trinken gestaltete sich weiterhin sehr schwierig. Bei der Flasche verschluckte sie sich manchmal so heftig, dass ihr Gesicht ganz rot und regungslos wurde und sie aufhörte zu atmen. Dann musste man ihr ins Gesicht pusten, damit der Reflex wieder einsetzte. Danach begann sie erst mal zu weinen, verweigerte schließlich die Flasche und schlief ein. Das passierte eigentlich bei jedem Trinkvorgang. Doch wollten wir es natürlich immer wieder versuchen, damit sie von der Magensonde weg kam.

Man führte natürlich Tagebuch. Trinkmenge, Zeiten, Temperatur, Stuhlgang - alles wurde festgehalten, damit die Krankenschwestern einen Überblick über jedes Kind hatten und deren Entwicklungsfortschritt. Es war wie eine Meilensteinliste, die man hoffte zu erfüllen. Bei unserer Tochter war es das Trinken, bei dem Nachbarkind die Temperatur. Jeder Tag begann mit einem Hoffnungsschimmer beim Erfüllen aller Kriterien endlich sein Baby mit nach Hause nehmen zu können.

Weitere Probleme

Dann kam ein weiterer erschwerter Faktor hinzu. Unsere Tochter litt an einer Hüftdysplasie - eine Fehlstellung der Hüftgelenke. Sie musste Tag und Nacht eine Schiene tragen, die dafür sorgte, dass die Beine in einer Spreizhaltung verblieben. Es war für uns schon eine Herausforderung so ein kleines Wesen zu versorgen, aber nun auch die Schiene immer wieder an und auszuziehen, brachte uns echt an die Grenzen.

Man musste an so vieles Denken, ich hatte stets Angst irgendetwas zu vergessen. Zum Beispiel das Kind beim Reinlegen in das Bett wieder zu verkabeln (Herzmonitor und Sauerstoffsättigung) oder die Abdeckung drauf zu legen. Hat man aus Versehen einen Waschlappen im Bettchen liegen gelassen. Hat man alle Flächen desinfiziert. Das Gehirn war auf Dauerleistung. Ohne viel Schlaf und Ruhe. Wenn ich an diese Zeit denke, kommen mir die Wochen mit unseren jetzigen gesunden und älteren Kindern, wie ein Urlaub vor. Echt krass, wie schnell man auch vieles wieder verdrängt oder vergisst.

Es blieb aufregend

Dann immer wieder überraschende Situationen: Zum Beispiel kamen mein Mann und ich eines morgens in das Frühchenzimmer und unser Kind war auf ein mal weg, samt Bett. Die Stelle, wo es sonst stand, war völlig leer. Komplett entgeistert suchte ich eine Schwester, die uns dann erzählte, dass unsere Tochter in ein anderes Zimmer verlegt worden war. An den Schock kann ich mich noch ganz genau erinnern. Auch daran, wie ich an einem Tag mit Durchfall zu kämpfen hatte und nicht mehr auf die Station durfte. 36 Stunden lang durfte ich mein Baby nicht sehen. Es war wirklich die Hölle. Natürlich kann man die Vorsichtsmaßnahmen auf der Station verstehen und sie sind absolut richtig. Aber für einen persönlich ist es echt hart und ich war froh über die Unterstützung meiner Hebamme, die mich psychisch wieder aufbaute.

Endlich nach Hause

Nach 2,5 Wochen bekamen wir endlich die Erlaubnis unsere kleine Maus mit nach Hause nehmen zu dürfen. Das Trinken an der Flasche und teils an der Brust war zwar immer noch schwierig, aber das Gewicht nahm jeden Tag ordentlich zu. Erst war die Freude riesengroß und dann kam die nackte Panik. Zu Hause gab es keine Monitore und Schwestern, die das Kind überwachten. Was wäre, wenn beim Schlafen die Atmung aussetzte? Wenn das Kind krank werden würde? Die Schwestern rieten uns von dem Gebrauch von Desinfektionsmitteln zu Hause ab. Die Kinder sollten unbedingt die haus- und familieneigenen Keime aufnehmen. Ganz anders als auf der Frühchenstation. Wir mussten uns also von dem peniblen Sauberkeitstick befreien, den wir auch schon in der Schwangerschaft verinnerlicht hatten.

Die ersten Nächte hatte ich kaum ein Auge zugemacht. Mein Mann und ich haben getrennte Schlafzimmer, weil mein Göttergatte extrem schnarcht. Doch nun hatte ich so ein kleines Wesen neben mir liegen, was ebenfalls sehr laute Geräusche von sich gab und das selbst beim Schlafen. Grunzen, Stöhnen, Schreien, Meckern. Ich musste mich erst mal daran gewöhnen und herausfinden, wann ich reagieren musste und wann nicht. Da war es gar nicht so schlecht mal das Babybett einfach zu meinem Mann schieben zu können, um zwei Stunden Tiefschlaf zu bekommen. Dann noch das Milch abpumpen alle drei Stunden neben der Versorgung des Kindes (was gefühlt ein bis zwei Stunden pro Zyklus dauerte). Und wenn man alles weggeräumt und abgewaschen hatte, ging alles von vorne los.

Stillen oder Flasche

Nach einer Woche hatte ich die Schnauze voll vom Abpumpen und nahm mir vor mein Kind nur noch zu stillen. Und es funktionierte. Das einzige was blieb, war das Verschlucken und die Atemaussetzer beim Trinken. Daher konnte ich sie fast nur „liegend“ auf der Seite stillen, weil dort der Milchfluss nicht zu schnell war. Die Atemaussetzer hörten auf, aber das Verschlucken blieb. Das ging bis in den 10. Monat so. Unterwegs mal so das Kind stillen war daher überhaupt nicht einfach. Ich konnte mich ja schlecht im Restaurant auf den Boden legen. Ab dem 5. Monat begann ich also schon mit der Breinahrung, was auch gut funktionierte.

Die Angst, der ständige Begleiter

In den ersten Wochen hatten wir extreme Angst vor dem „Plötzlichen Kindstod“. Wenn ich andere Kinder dick vermummt im Kinderwagen oder in der Wiege sah - mit Kissen, Decken und Kuscheltieren - wurde mir ganz anders zu Mute. Unsere Tochter lag in einem dünnen Schlafsack in einem großen Laufgitter. Ohne Decken, ohne Kissen oder sonst irgendwas. Damit die Beine in der Hüftschiene halt hatten, haben wir die Füße gegen das Gitter gelehnt und der Kopf zeigte zur Mitte des Laufgitters. Da lag sie nun, total verloren in diesem riesigen Laufstall. Bis uns irgendwann auch auffiel, dass die Matratze etwas abschüssig zur Mitte hin war. Gott, das arme Kind. Schnell kauften wir uns auch für das Wohnzimmer eine Wiege und unsere Hebamme ermunterte uns die Beinchen wenigstens mit einer Deckenrolle zu unterstützen.

Ich traute mich auch kaum auf dem Sofa mit dem Kind im Arm zu Kuscheln, aus Angst, ich würde mit dem Kind einschlafen. Das hatte man uns auf der Intensivstation immer eingetrichtert. Nicht mit dem Kind im Arm einschlafen! Doch wie konnte ich dann eine Bindung aufbauen? Mit den vielen Ängsten? Dabei half mir meine Hebamme sehr.

Ich habe meine erste Tochter auch nie in meinem Bett schlafen lassen, nur im Beistellbett. Natürlich warnen alle Ärzte davor das Kind im Elternbett schlafen zu lassen, doch Mehrfacheltern und auch viele Hebammen halten dagegen. Man muss für sich selber einen Mittelweg finden, den habe ich dann bei unserer zweiten Tochter auch gefunden, aber davon erzähle ich dann ein ander mal 😉

Ein bisschen Alltag

Nach drei Monaten hatten wir einen weiteren wichtigen Meilenstein erreicht. Die Hüftschiene konnte endlich weggelassen werden. Es kam langsam Normalität in den Alltag.
Es klingt jetzt sicherlich alles sehr anstrengend und vielleicht auch manches ein wenig erschreckend. Aber wisst ihr? Mein Mann und ich waren trotzdem sehr glücklich. Nach dem Tod unseres Sohnes hatten wir Angst keine Kinder bekommen zu können. Kinderlos zu bleiben. Doch unsere Tochter ließ uns ein anderes Schicksal zuteilwerden. Wir waren nun Eltern und auch wenn der Anfang etwas schwierig war, so entwickelte sich unser Baby super. Klar gab es noch Ergotherapie und etliche andere Untersuchungen und Hürden, aber nach einem Jahr hatten wir ein ganz normales gesundes Baby. Sie war aufgeweckt, fröhlich und wir entdeckten nun die Sonnenseiten der Elternschaft. Wisst ihr, wie toll es war, sein Kind durch das Dorf zu schieben? Vor allem, wenn man bereits ein Kind verloren hatte und dann endlich auch Mutter und Vater sein durfte und es auch zeigen konnte?

Egal was wir auch erlebt hatten, wir waren und sind es heute noch - unendlich dankbar für dieses Geschenk. Und ich kann sagen, irgendwann verblassen die negativen Erinnerungen und auch die Schrecken.

Ist ja nicht so, dass mit den Kids es irgendwann langweilig wird und man keine neuen Sorgen hat 😉

Aber auch das wird man meistern. Die Chance zu haben einen kleinen Menschen auf seinem Weg in ein selbstbestimmtes Leben zu begleiten ist so einzigartig und wundervoll, ich kann mir heute gar nichts schöneres vorstellen.



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2 thoughts on “Die erste Zeit mit einem Frühchen

  1. Danke für diesen Erfahrungsbericht zur ersten Zeit mit einem Frühchen. Aufgrund des frühen Geburtstermins brauchen diese natürlich viel Pflege, vor allem wenn sie dabei noch an einer Hüftdysplasie leiden. Unser Kind litt auch darunter, deshalb hatten wir für es auch spezielle Zügerlhosen besorgt, die extra dafür angefertigt wurden.

    1. Wir haben direkt vom Krankenhaus die Thübinger Hüftschiene bekommen. Ich denke, dass die Kliniken in den meisten Fällen gleich das Kind mit den entsprechenden medizinischen Hilfsmitteln versorgen. Ein Glück…

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