Leben mit einem Sternenkind
Ich möchte Euch hier einen kleinen Einblick geben in das Leben unserer Familie mit einem Sternenkind.
Was genau ist ein Sternenkind?
Oft wird ein frühverstorbenes Baby als Sternenkind bezeichnet, wenn es bereits vor der Geburt im Mutterleib, bei der Geburt oder kurz danach stirbt. Auf dem Blatt Papier spricht man von Tot- oder Fehlgeburt, was für viele Eltern eine sehr harte Umschreibung ist. Spricht man hingegen von einem Sternenkind ändert das zwar nicht die Tragödie, gibt dem aber eine würdige Umschreibung.
Unser Sternenkind - die Vorgeschichte
2014 wurde ich das erste mal Schwanger. Durch vorzeitige Wehen und einem verkürzten Gebärmutterhals wurde ich stationär in der 21. SSW in einem Hamburger Krankenhaus aufgenommen, ohne jedoch eine Behandlung zu bekommen. Mir wurde gesagt, dass das Krankenhaus erst mit der 24. SSW verpflichtet ist Behandlungen vorzunehmen.
In diesem Hamburger Klinikum wurde eine Infektion nicht erkannt und diese verursachte eine spontane Geburt und den Blasensprung in der 23. SSW. Unser Sohn, der bis zur Geburt völlig normal und gesund entwickelt war, verstarb leider direkt nach der Geburt wegen der fehlenden Lungenreife.
Ich möchte nun weniger auf die Tragödie (welche immer sehr schmerzhaft zu beschreiben ist) eingehen, als viel mehr erzählen, wie wir in den darauf folgenden Monaten und Jahren den Alltag mit einem Sternenkind erlebt haben.
Zu Hause nach der Geburt
Nach der Schwangerschaft bringt man für gewöhnlich nach 9 Monaten ein Kind auf die Welt und kann es kurze Zeit später mit nach Hause nehmen. Je fortgeschrittener die Schwangerschaft verläuft, desto mehr wissen natürlich dann auch die Menschen im Umkreis Bescheid - Familie, Freunde, Arbeitskollegen und auch Bekannte aus dem Alltagsleben. Der Bauch ist für alle sichtbar.
Doch als wir unser Kind geboren hatten, kamen wir mit leeren Händen und viel Tränen nach Hause. Der Bauch war weg, aber unser Kind war auch nicht mehr da.
Anstatt uns um die Ausstattung des Zimmers oder Babykleidung zu kümmern, mussten wir die Beerdigung organisieren. Unser Sohn wurde als lebendige Person eingetragen und bekam daher eine Geburtsurkunde und die Erlaubnis ihn auf einem Friedhof bestatten zu können. Selbst für Bestattungsunternehmen ist es ein Schock, ein Baby zu beerdigen, wobei ich sagen muss, dass wir in besten Händen waren. Uns wurde vorgeschlagen Briefe zu schreiben und Persönliches zu kaufen, was wir in den Sarg mit reinlegen durften. Unterstützt durch meine Schwägerin ging ich zu DM und kaufte Babyklamotten ein und eine Babydecke, damit unser Sohn es so schön wie möglich hatte. Dieser Moment war sehr, sehr hart für mich. Nicht nur, weil man trauerte, sondern alle anderen Eltern um sich herum beneidete, dass sie gesunde Babys hatten und man selber nicht. Man empfand so vieles - Wut, Trauer, Verzweiflung, Ohnmacht, aber auch Neid. Für letzteres schämte ich mich natürlich. Man gönnte es ja anderen Eltern - aber man wollte doch auch so gerne ein Baby.
Konnte man mit der Beerdigung abschließen?
Nicht wirklich, denn man war nun mit ganz anderen Problemen konfrontiert. Zunächst musste ich natürlich meiner gesamten Familie und den Freunden die traurige Botschaft übermitteln. Diese wurde bei uns ganz unterschiedlich aufgenommen. Aber wir können sagen, dass alle für uns da waren - ausnahmslos. Wir haben viel geredet und viel Verständnis bekommen- da mein Mann und ich aber auch sehr offene Menschen sind und klar unsere emotionalen Gefühle äußern können. Und wir haben uns nicht abgeschottet. In unserem Bekannten- und Freundeskreis gab es viele Kinder und sogar 6 Geburten im selben Jahr. Es war hart, aber wir haben weiterhin am Leben der anderen teilgenommen.
Doch es gab auch Organisatorisches zu erledigen:
Ich musste zunächst den Geburtsvorbereitungskurs absagen und auch unseren Sohn aus der Krippe wieder abmelden. Die Möbel des Kinderzimmers wurden einen Monat nach der Geburt geliefert. Warum wir sie behielten? Wir wollten unseren Kinderwunsch nicht beerdigen. Wir wußten wir würden es schaffen, ein gesundes Kind auf die Welt zu bekommen, egal was es kostete.
Ich bekam 14 Monate Mutterschutz, musste dies natürlich mit meinem Arbeitgeber klären und auch wie es danach weiterging. Denn eigentlich war meine Elternzeit-Ersatzarbeitskraft bereits eingestellt. Doch auch hier verlief meine Eingliederung in das Arbeitsleben sehr angenehm. Nur eine Sache habe ich noch als sehr "schmerzhaft" in Erinnerung:
Eine Arbeitskollegin war gleichzeit mit mir Schwanger. Als ich nach dem Mutterschutz wieder ins Büro kam, hingen im Aufenthaltsraum noch Girlanden und Fahnen mit der Aufschrift „It`s a girl“. Sprich die Firma hatte natürlich die Geburt der Tochter meiner Arbeitskollegin gefeiert. Bei mir gab es nichts zu feiern - nur Trauer. Jedesmal, wenn ich in diesen Raum kam, wurde ich daran erinnert. Ich bat dann eine Kollegin die Sachen abzuhängen, was sie auch schnell machte. Es hatte einfach keiner daran gedacht.
Hier spielte ebenfalls der Neidfaktor eine große Rolle, mit dem man lernen muss umzugehen.
Wie antwortet man auf die Frage: Habt ihr Kinder?
Viel schwieriger war es für die Monate danach, die Frage von Fremden zu beantworten, ob man schon Kinder hätte. Erzählt man von seinem Sohn, würde man eine traurige Situation hervorufen. Verständlicherweise reagieren Außenstehende auf ein verstorbenes Kind sehr betroffen. Da überlegte ich häufig, ob ich meine Geschichte erzähle und auch in welchem Umfeld.
Doch sagt man einfach; ich habe kein Kind - befindet man sich in einem emotionalen Dilemma. Ich hatte das Gefühl, meinen Sohn zu verheimlichen. Und das wollte ich nicht. Ich war Mutter, ich hatte einen Sohn, er war nur nicht bei mir.
Ich wollte von ihm erzählen - nicht für Mitleid - sondern weil er zu meiner Familie gehört.
Wie geht die Familie mit einem Sternenkind um?
Man muss natürlich auch die Trauer der anderen Familienangehörigen wie Großeltern oder Geschwister bedenken. Einige wollen es einfach nur verdrängen, andere trauern offen mit. Das ist nicht immer leicht zu händeln - weil man als Eltern oft den Anspruch erhebt - die alleinigen Trauernden zu sein. Aber auch das gibt sich mit der Zeit.
Schwierigkeiten kann es geben, wenn man Kinder hat und später noch welche bekommt. In unserem Fall haben wir nach unserem Sohn zwei weitere Kinder - zwei Mädchen bekommen. Von Anfang an, haben wir unseren Sohn und auch seine Geschichte erzählt und nichts verheimlicht. Unsere ältere Tochter fing ab dem 3. Lebensjahr an zu erfragen, warum sie einen Bruder hat, der aber nicht bei uns lebt. Wir haben die Wahrheit so kindgerecht wie möglich verpackt. Natürlich haben wir auch ihren Erziehern davon erzählt, denn unsere Tochter berichtete des Öfteren in der Öffentlichkeit von ihrem Bruder. Und man sollte das nicht als Fantasie abtun.
Viele Außenstehende können wie gesagt mit dem Thema nicht so gut umgehen, reagieren geschockt, traurig oder verhalten. Doch für einen selber gehört das zum Familienalltag - so komisch das auch klingt. Wir empfinden das so, weil wir das Schicksal und den Schmerz akzeptiert und in unser Leben integriert haben. Es gibt bestimmt viele Familien die anders handeln und auch anders über ihre Trauer denken.
Aber so soll es auch sein - jede Familie entscheidet für sich, wie es mit ihren Schicksalen umgeht - es gibt kein richtig oder falsch.
Doch wie beantwortet man die Frage nach Anzahl der Kinder in steuerlichen Fragen etc.?
Unser Sohn hat tatsächlich für einen Monat Kindergeld bekommen und wird auch bei vielen anderen gesetzlichen Bestimmungen als vollständiges Kind betrachtet. Ruhig ein mal nachfragen, wenn man sich nicht sicher ist. Die Behörden sind da eigentlich sehr hilfreich. Trotzdem ist es ein Thema, mit dem man sich immer wieder auseinander setzen muss. Das bedenken viele Außenstehende gar nicht.
Manchmal lieber ein mal nach- bzw. (mit)denken
Was ich noch einigen Eltern auf dem Weg geben möchte, die von ihren kleinen Lieblingen ab und zu verzweifelt sind:
Bitte lasst den Satz zu kinderlosen Paaren „Seid (doch) froh, dass ihr keine Kinder habt.“
Diesen Satz haben wir in unserer Kinderwunschphase oft gehört und auch sogar nach dem Tod unseres Sohnes. Selbst bei Paaren, wo man gar nicht weiß, dass sie Kinder bekommen wollen, können diese Worte sehr verletzend sein - es gibt tausend Gründe, warum manche Menschen keine Kinder haben und dennoch den großen Wunsch danach verspüren, aber nicht darüber reden.
Solche Sätze von gestressten Eltern erzeugen große Wut und Trauer. Ich weiß, dass es nicht böse gemeint ist und manche einfach damit nur zeigen möchten, wie anstrengend und herausfordernd Kinder sein können, trotzdem sollte man dankbar sein, sie zu haben. Dann doch lieber den Satz „Ich wünsche mir mal ein kinderfreies Wochenende“ oder „Hätte ich mal einen freien Tag nur für mich“. Das kann jeder verstehen;-)