Vom Corona-Schock und Einzelkämpfer

Vom Corona-Schock und Einzelkämpfer

Es sind nun ein paar Tage nach der Botschaft der verlängerten Corona-Maßnahmen ins Land gestrichen. Haben sich Familien schon erholt oder bereits resigniert oder vielleicht gefreut? Ich selber habe die Nachrichten recht übellaunig aufgefasst. 5 Monate die Kinder zu Hause betreuen, dabei die eigene Arbeit in den Schatten stellen und die individuellen Bedürfnisse sowieso. Dabei geht es uns noch gut: mein Mann arbeitet komplett im HomeOffice mit einer fast "stabilen" Technik, ich muss nicht unbedingt arbeiten - nur für mein Seelenheil und die Kids haben neben Garten, Wiese, Wald auch einen Schlecht-Wetter-Spielekeller, den wir bei dem guten Wetter gar nicht benötigen. Trotzdem ist auch bei uns die Anspannung zu fühlen, je nach dem wie gerade die Ansprüche an Förderung der Kinder, Haushalt und Arbeitsgestaltung sind.

Harte Probe für viele Familien

Doch die Situation trifft andere Menschen sehr, sehr hart und treibt die Familien an die Grenzen der Belastbarkeit. Dennoch werden viele Probleme in den Medien gar nicht oder nur kaum behandelt. Daher möchte ich mir mal alles von der Seele schreiben, was ich in den letzten Wochen in Gesprächen mit Freunden, Nachbarn, Zufallsbekanntschaften und Familienangehörigen (beim Einkaufen, zufälliges Treffen beim Spazierengehen, Handy, Videochat und/oder Telefonaten) erfahren habe.

Das Gefühl, jeder ist ein Einzelkämpfer

Hier folgt mal die erste Bestandsaufnahme der letzten Wochen, bevor ich meine Meinung dazu kundtun möchte, werde ich erstmal die Erfahrungen meiner Mitmenschen schildern und später darauf eingehen:

Erzieher

Gestern war ich mit meinen Kindern im Arche-Park bei Lüneburg spazieren und mir kam eine Notfallbetreuungsgruppe einer Krippe entgegen. Die eine Erzieherin beschwerte sich, dass sie keinen Mundschutz und keine Handschuhe tragen dürfe, obwohl ja bei den Kleinsten eine erhöhte Gefahr bestehe angeniest zu werden. Daher trage sie immer die Angst mit nach Hause ihre eigene Familie durch die Arbeit anzustecken. Da meist diejenigen Kinder in den Notfallgruppen anzutreffen sind, deren Eltern ggf. zu den Berufsgruppen mit erhöhtem Ansteckungspotenzial gehören.

Selbstständige

Viele Selbstständige kämpfen im Moment um ihre Existenz. Die Bereitschaft der Eltern für Leistungen zu zahlen (Musikunterricht, Reitunterricht etc.), die sie nicht in Anspruch nehmen können, sinkt von Woche zu Woche. Doch meistens geschieht das nicht aus bösem Wille, sondern weil viele Eltern selber hohe finanzielle Einbußen durch Kurzarbeit, Kündigung oder unbezahltem Urlaub in Kauf nehmen müssen. Doch wovon sollen denn Selbstständige noch leben und ihre eigenen Kinder versorgen? Das Verständnis fehlt oft auf beiden Seiten und hier geht der Kampf zwischen Dienstleister und Familien in die nächste Runde - was zusätzlich Kräfte zerrt.

Berufstätige Eltern

Im Bekanntenkreis bekommt ein Elternteil weder HomeOffice noch eine andere Lösung angeboten, um Kind und Arbeit unter einen Hut zu bekommen. Und das obwohl der Arbeitgeber eine öffentliche Institution ist und selber bei anderen Firmen um Verständnis und Flexibilität gegenüber dem Arbeitnehmer bittet. Das heißt die Mutter muss nicht nur Kinderbetreuung, Arbeit und Haushalt managen, sondern organisatorische Wunderleistungen vollbringen. Die Virulogen warnen davor, Großeltern in die Betreuung einzubinden oder alternative Gruppen zu bilden.

Doch welche andere Möglichkeiten bleiben den Eltern? Sie wollen sich, ihre Kinder und andere doch auch schützen, aber ohne Job - kein Geld und keine Grundversorgung. Man muss die momentane Lage beachten, sowie für die Zukunft vorsorgen.

An diesen kurzen Beispielen erkennt man gleich - i.d.R. "stirbt jeder für sich allein!" Das sind jetzt Einzelfälle und Momentaufnahmen - natürlich hört man auch von sehr flexiblen Arbeitgebern, Kitas - die wahre wunderwerke an Betreuungsangebote für die Eltern auf die Beine stellen und vieles mehr.

Welche Probleme gibt es noch? Die Psyche!

Kinder

Ich gehe mal vorwiegend auf Krippen und Kindergartenkinder ein, weil die mir in den Medien im Moment zu wenig behandelt werden.
Eine Kindertagesstätte hat viel mehr Aufgaben als einfach nur die Kinder der Familien zu beaufsichtigen. Hier können die Kinder mit Gleichaltrigen spielen, sie lernen soziale Verhaltensweisen und werden individuell gefördert. Bei bildungsfernen Familien trifft es Kinder besonders hart, wenn diese nicht in den Kindergarten gehen können, um gemeinsam zu lernen und gefördert zu werden. Ein weiterer Aspekt ist eine abwechslungsreiche und gesunde Ernährung, welche in Kitas i.d.R. angeboten wird.

Einzelkinder sind alleine

Auch Einzelkinder haben es schwerer, als Familien mit mehreren Kindern. Sie sind den ganzen Tag von Erwachsenen umgeben, die vielleicht sogar arbeiten müssen und kaum Zeit für den Sprössling haben. Förderung ist hier beinahe ausgeschlossen. Und das Problem geht nach der Wiedereröffnung weiter: denn ein Großteil der Kinder, besonders in der Krippe, müssen erneut eingewöhnt werden, zusätzlich zu denjenigen, die im Sommer 2020 ganz neu in die Krippe gehen sollen.

Stellt euch mal eine Eingwöhnung in einer Krippe mit 10 Kindern zwischen 1 und 2 Jahren gleichzeitig auf drei Erziehern vor - da ist Chaos und Streit zwischen Eltern und Erziehern vorprogrammiert - leidtragend ist das seelische Wohl der Kids.

Familien - Urlaube und Kuren

Eltern müssen jetzt bereits ihren gesamten Urlaub aufbrauchen. Aber nicht für schöne Reisen oder erholsame Ausflüge - sondern um einfach den Alltag bestreiten zu können. Mitte des Jahres dürfte nicht nur das Urlaubs- und Überstundenkonto leer sein, sondern die Kraftreserven ebenso. Doch bei manchen Familien sind sie bereits vor der Corona-Krise schon am Limit gewesen. Wieviele Personen haben Eltern-Kind-Kuren oder Reha Maßnahmen dieses Jahr gebucht, die zum Teil nicht mehr angetreten werden können?
Da hat man sich monatelang durch alle bürokratischen Hürden gekämpft (Arztbesuche, Gespräche mit der Krankenkasse etc.) und jetzt?

Dazu kommt, dass die Eltern tagtäglich von einem schlechtem Gewissen begleitet werden - wenn sie Arbeit, Hauhalt und Kinder stemmen müssen, gefühlt alles zu kurz kommt und ihnen die Zeit fehlt individuell auf die Kids einzugehen. Es kommt zu Streitigkeiten, Mißmutigkeit auf beiden Seiten. Das zerrt an den Nerven und führt zu schlaflosen Nächte der Eltern, die hier eigentlich die Kraftreserven auffüllen müssen.

Wenn es dann von den Politikern im Fernsehen heißt die Familien sollen Geduld und Verständnis für die Maßnahmen aufbringen, kann ich es verstehen, wenn viele eher mit Wut, Verzweiflung oder Ohnmacht reagieren.

Maßnahmen zu Sicherung sind Wichtig!

Versteht mich jetzt nicht falsch - Maßnahmen gegen die Ausbreitung von Corona und das Schützen der Bevölkerung ist elementar wichtig und man sieht an den Daten von Deutschland, dass wir noch Glück haben bzw. frühzeitig gehandelt wurde und wir im Verhältnis zu vielen anderen Ländern, wo es einfach nur ums nackte Überleben geht, noch gut dastehen. Vielleicht machen wir uns auch deshalb Gedanken um andere Sachen - weil der größte Teil der Bevölkerung noch nicht mit Corona und den Auswirkungen in Berührung gekommen ist.

Doch sollen wir dann einfach unsere Probleme verdrängen? Wann ist der Zeitpunkt sich ihnen zu stellen, um ein Leben während und nach der Krise erfolgreich managen zu können? Dürfen Eltern über ihre Probleme offen reden oder trauen sie sich nicht, aus Angst das man ihnen vorwirft die momentane Lage nicht ernst zu nehmen oder selbstsüchtig zu handeln?

Was mir zu der Gesamtsituation fehlt ist folgendes:

Kommunikation, Empathie und die Bereitschaft Kompromisse zu schließen

Nicht nur Poltiker auf Landes- und Bundesebene müssen bessere Konzepte entwickeln, auch die Gemeinden, die öffentlichen Einrichtungen und Arbeitgeber - am besten in Abstimmung mit allen Beteiligten - sind gefordert.

Beispiel Kitas:

Mein Wunsch ist, dass sich Gemeinden/Bezirke mit Elternvertreter und Einrichtungen zusammen setzen (per Video, Telefon, Mail etc.), um Konzepte zu entwickeln, womit alle gut Leben können. Die Eltern darüber informieren, dass hier ein Prozess im Gange ist, damit man auch weiß, es wird sich dem Thema angenommen. Eine vorherige Bestandsaufnahme durch  Umfragen wäre nützlich und im digitalen Zeitalter auch möglich. Vielleicht geht es ja den meisten Menschen gut und man hört nur vereinzelt schlechte Beispiele in den Medien oder ist es genau umgekehrt, dass es dem größeren Anteil der Bevölkerung schlecht geht, aber niemand sich traut seine Stimme zu erheben bzw. die einzelnen Stimmen verhallen?

Was möchte man im Falle der Kitas erreichen:

- ausreichend Schutz für Erzieher
- Entlastung der Eltern
- Förderung der Kinder

Wenn zum Beispiel Erzieher Einweghandschuhe und einen Mundschutz tragen möchten, sollen sie dies auch dürfen (gilt übrigens auch für Verkäuferinnen und andere Berufsgruppen). Das Argument Kinder könnten sich dann ängstigen, ist für mich keins. Die Kleinen müssen im Moment auch lernen, dass sie ihre Großeltern nicht besuchen oder umarmen können. Dass sie Abstand zu anderen Kindern halten sollen. Wenn man ihnen die Notwendigkeit von Schutzausrüstungen erklärt, werden sie es verstehen. Das ist besser als sie von allen Einrichtungen fern zu halten. Denn gem. den Experten wird Corona nicht verschwinden - diese und viele weitere Krankheiten werden uns lebenslang begleiten. Es gehört zum Leben dazu.

Ich habe selber beim Wickeln oder der Pflege meiner Töchter oft Handschuhe getragen, weil ich Neurodermitis habe und das viele Händewaschen meiner Haut erheblich schadete. Meine Kinder waren anfangs vielleicht irritiert oder neugierig - doch das vergeht mit der Zeit.

Zur Kita zurück: Manche Einrichtungen zeigen hier großen Einsatz: Haben einen Newsletter ins Leben gerufen, stellen wöchentlich Videos und Spiele auf der Webseite vor und halten unter anderem so einen engen Kontakt zu den Kindern. Man bekommt durch die daraus entstehende Interaktion auch mit, welche Familien wirklich Unterstützung brauchen und Erzieher können gemeinsam mit den Eltern Konzepte entwickeln, für eine schrittweise Eröffnung der Einrichtungen. Die Bereitschaft muss nur von beiden Seiten gegeben sein. Und nicht erst, wenn die Bundes- oder Landesregierung grünes Licht gibt - sondern das Konzept muss bereits vorher stehen, damit es sofort in Kraft treten kann!

Da so ein Konzept nicht nur Hygienevorschriften beinhalten sollte, sondern auch andere Aspekte z.B. Handhabung der Eingewöhnung. Vielleicht werden so alternative Lösungswege gefunden, die eine schnellere und reibungslosere Öffnung der Einrichtung für alle Kinder ermöglicht.

Ärzte, Krankenschwester und Pflegepersonal

Hier habe ich noch mal ein persönliches Anliegen: Viele Menschen haben applaudiert für den Einsatz unseres Pflegepersonals. Ich bin etwas skeptisch diesen Aktionen gegenüber, denn was ich mir von den Politikern, aber auch von jedem Einzelnen, wirklich wünsche ist folgendes:

- bessere Arbeitsbedigungen
- höhere Entlohnungen
- Wertschätzung der Bevölkerung gegenüber Pflegepersonal und Einsatzkräften

Die ersten Punkte liegen klar in den Händen der Politik und der Verwaltung der jewiligen Einrichtung. Doch letzteres kann von jedem Einzelnen erbracht werden, der schon mal im Krankenhaus oder anderen Pflegeeinrichtungen war.
Durch mehrere Schicksalsschläge der letzten Jahre habe ich öfters im Krankenhaus auf verschiedenen Stationen gelegen.  Dort habe ich erlebt, dass die Patienten sich manchmal sehr unhöflich und abschätzend den Schwestern und Ärzten gegenüber benommen haben. Sie beklagen, dass ihre individuellen Bedürfnisse und ihre psychischen Probleme nicht behandelt werden.

Es stimmt, dass oft ein Konzept für die individuelle und psychologische Betreuung auf Stationen fehlt (StrokeUnit, Intensiv, Krebsstation etc.). Aber dafür können die Ärzte und die Schwestern nichts. Sie arbeiten hart an der Grenze der Belastbarkeit, zeitens sogar übermenschlich mit dem Ziel, die Menschen bestmöglich zu versorgen und bekommen dafür noch nicht mal die entsprechende Bezahlung. Natürlich befinden sich die Patienten in einem außergewöhnlichem Notzustand, wo klares Denken manchmal sehr schwer fällt. Doch wenn man Verständnis für seine Mitmenschen aufbringt, kann man davon auch profitieren.

Verhalte ich mich gegenüber dem Pflegepersonal mit dem nötigen Respekt und zeige hin und wieder Dankbarkeit, hilft das die Arbeits-Atmosphäre zu verbessern. Pfleger können Kraft und Freude daraus ziehen und der Berufsstand bekommt mehr Anerkennung und Wertschätzung. Uns fehlt Pflegepersonal - dann sollten wir sie gut behandeln und entsprechend bezahlen! Dann kommt es auch zu weniger Fehlentscheidungen oder unzureichende Behandlungen, die durch Überlastung entstehen. Denkt immer daran - eine Hand wäscht die andere!

Hat die Corona-Krise auch gute Seiten?

Zu guter Letzt auch mal was Positives. Denn den Familien geht es nicht nur schlecht. In Gesprächen hört man ebenso oft, dass sich viele Eltern vom Termindruck befreit fühlen. Die Zeitakrobatik in der Woche, um die Kinder zu ihren unterschiedlichen nachmittäglichen Kursen und Unterrichten zu fahren, fällt weg. Auch die Wochenenden sind frei von "Pflichtbesuchen" bei Angehörigen oder Bekannten. Hier fehlt vielleicht die Möglichkeit Zoos und Vergnügungsparks zu besuchen - doch man entdeckt den heimischen Wald und die nähere Umgebung. Die Familien rücken näher zusammen und sind befreit von dem selbtverantworteten "Freizeitstress". Kreative Ideen werden geboren zum Beispiel Challenges der Nachbarschaft (oder des gesamten Dorfes) über WhatsApp und Facebook.

Wir machen in den nächsten Wochen und Monaten gute, aber auch schlechte Erfahrungen - trotz Abstandsregeln sollten wir gemeinschaftlich zusammenrücken und mit Kommunikation und Zusammenhalt Wege finden, den Alltag für alle bestmöglich zu gestalten.

Dieser Bericht beruht auf meiner subjektiven Sicht und soll euch anregen - gerne hier per Kommentar oder eigenen Bericht - mal eure Meinungen und Erlebnisse zu schildern! Lasst euren Wünschen, Gedanken und Ängsten freien Lauf...

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